Kapitel 7
(11. September 2000):
Die verfilzte Prinzessin
Meine lieben Freunde,
natürlich bin ich mir
darüber klar, dass mich jeder gern hat, aber einige mögen mich wohl noch mehr
als andere. Ab und zu begegne ich immer mal wieder jemandem, der den Wheatengruß
übers ganze Gesicht nicht mag, aber die meisten umarmen mich wenigstens.
Gestern sind wir zu Oma in
ihr Altersheim gegangen und ich durfte auch mit zu den alten Leuten, die gerade
auf der Bank im warmen Sonnenschein saßen. Dieses Mal brauchte ich nicht in
meinem Laufstall im Auto bleiben. Die meisten Heimbewohner sind blind, aber sie
haben mir meine Schönheit geglaubt, als sie mein seidiges Fell fühlten. Ich
habe an Papis Muttis Hand herumgeknabbert, um sie wissen zu lassen, dass ich
sie mag.
Wo wir gerade über
mein seidiges Fell sprechen: Ich hätte es beinahe verloren! Eines Tages im
August, ich war in einem kleinen Käfig in einer Hundepension und hatte schon
fast die Hoffnung aufgegeben, mein Körbchen in Bramstedt und meinen Laufstall
im Mitsubishi jemals wiederzusehen, da - hallo! - kamen Mami und Papi doch, um
mich nach ihrem Urlaub wieder abzuholen. Ich war so überrascht, dass ich völlig
vergaß, ihnen die kalte Schulter zu zeigen, weil sie mich zurückgelassen
hatten. Stattdessen schlang ich mich um ihren Hals und hüpfte auf und ab. „Ist
das wirklich Gráinne?", sagten sie immer wieder, „Sie ist ja vielleicht
gewachsen!". Na ja, ich hatte ja in diesem Lager auch nichts anderes zu
tun, als vielleicht etwas größer zu werden. Onkel Walz grinste jedenfalls und
stellte mir dieses Mal ein besseres Zeugnis aus (siehe Kapitel 5) und meine
Leute atmeten erleichtert durch.
Auf dem Rückweg
hielten wir gleich beim Hundefriseur an, um einen Termin für einen Haarschnitt
auszumachen. Frau Helms legte mir nur einmal die Hand auf mein Fell und sagte
entsetzt "Ooooooooooooohhh nnnnneiiiiiiiiiiiiiin! Sie ist ja bis auf die
Haut verfilzt! Da kann man nur eins machen: alles abrasieren und von vorne
anfangen. " Mami sagte zu mir, "Kommt gar nicht in Frage. Im Oktober
kommen Oma und Opa aus Amerika und wollen einen Irish Soft Coated Wheaten
Terrier sehen und kein nacktes Schweinchen.
Wir hatten zehn
Tage Zeit, um die Verfilzungen herauszubekommen, und Mami fing sofort damit an.
Jeden Tag hatten wir einen eineinhalbstündigen Ringkampf. Kyshas Paniktropfen
halfen etwas, aber es tat trotzdem weh und ich jaulte und jaulte. Mami hielt
mich mit dem Ringergriff fest, den sie mal in der Highschoolzeit von Onkel
David gelernt hatte.
Am Tage vor dem
Termin waren wir fertig, und als wir bei Frau Helms auftauchten war sie doch
sehr beeindruckt. Ich erhielt einen zweistündigen Erwachsenenhaarschnitt und
alle sagen, dass ich nun eine wahre Schönheit bin.
Wheaten zu sein,
hat ja wirklich Nachteile: Ich bringe jedes Mal einen Teil des Waldes mit nach
Hause und Mami sucht dann sofort die Drahtbürste. Manchmal muss ich aber auch
erst unter die Dusche.
Letzte Woche, bei unserem Querfeldeinspaziergang (Mami sieht immer ulkig
aus in ihrem Regenzeug: Regenjacke, Regenhosen und Gummistiefel!), trafen wir
Mamis Friseurin mit ihrer Hündin Cilly. Wow - das ist mein Fall von Hund! Sie
rannte mit mir quer durch die Felder und wir rollten und rangen im Schlamm
herum bis wir aussahen wie die ... Na ja, Papi hat ein Foto von mir gemacht,
als wir nach Hause kamen.
Cilly wollte die
häusliche Dusche vermeiden. Deshalb rannte sie herunter zu einem kleinen Teich
im Wald. Ich konnte ihr nicht verdeutlichen, dass ich meine Schlammpackung
länger drauf behalten wollte, um noch schöner auszusehen und sie drängte mich immer
wieder zum Teich und zeigte mir, wie man hineinspringt und schwimmt.
"Kommt nicht in Frage" sagte ich.
Jetzt, wo es Herbst
geworden ist, wird unser Tempo beim Spaziergang langsamer, denn Mami pflückt
währenddessen Holunderbeeren und Papi sucht Pilze. Deshalb muss ich mir selbst
anstrengendere Übungen ausdenken und sprinte und hüpfe wie ein Känguru durch
die Felder und veranstalte Gewichthebeübungen mit den größten Stöcken, die ich
im Wald finden kann. An einem dieser Tage fand ich auch am Wegesrand ein
Hühnerei, dass ich für ebenso schmackhaft hielt wie die Pflaumen, Brombeeren
und Kirschen, die Mami und Papi so finden.
Wo wir von Wäldern
sprechen: „Gráinnes Wald" ist ganz gut, aber den Spitzenwald habe ich im
nächsten Städtchen gefunden, in Syke. Ich brachte meine Leute dahin und zeigte
ihnen, wie eine echt sportliche Übung aussieht: Mami spaziert oben um die
"Wolfsschlucht" herum und Papi geht unten auf dem Talboden. Und
Gráinne rennt wie ein Blitz von einem zum anderen und wieder zurück. Mami sagt,
sie macht immer die Augen zu, wenn ich meine Sprünge herunter in die Schlucht
mache. (Ich wette, in der Achterbahn auf dem Freimarkt macht sie die Augen auch
zu.)
Wenn meine Leute
schon Lehrer sind, denke ich, sollte ich auch berichten, dass mein Wortschatz
wächst. Ich kenne jetzt schon „Komm“, „Komm her“, „Bei Fuß“, „Sitz“, „Bleib“,
„O.K.“ (Ende aller Beschränkungen), „Hol Dein Spielzeug und bring es hierher“,
„Nicht ziehen“, „Nicht beißen“, „Runter“, „Liebes Mädchen“, „Leckerli“, und
meinen liebsten Ausdruck: „Wollen wir spazieren gehen?“
Ich freue mich auf
zwei Ereignisse in diesem Herbst: Sie haben mir versprochen, mich während der
Herbstferien mit auf die Insel Spiekeroog zu nehmen und nach Herzenslust am
Strand entlang rennen zu lassen - das müsste eigentlich noch besser sein als
die Sandgrube auf dem Sportplatz in Bramstedt. Und Thanksgiving: Mami will mir
einen ganzen Truthahn braten!
Gruß und Kuss
Gráinne