Kapitel 22
(Mai bis Juni 2003):

Von der Schönheitskönigin zur Olympiakandidatin


Lieber Opa,

erinnerst Du Dich noch an den kleinen Gauner, der vor drei Jahren aus der Welpenschule geworfen wurde? Dein Trost hat mir damals den Stubenarrest erspart und deshalb widme ich Dir den Erfolg dieses Monats.

Eines Sonntags kam Michaela aus Hamburg und sie stellten zusammen den Foltertisch auf der Terrasse auf. Sie schnitt, ich wand mich, sie schnitt, ich schlug aus, sie schnitt, ich verbog mich. - Weißt Du, so was ist besonders entwürdigend für mich, die Frauenbeauftragte in unserem Verein "Mein Fell gehört mir" aus der deutschen Wheatenliste. Na, wenigstens habe ich ihr einen starken Kampf geliefert und es gab keinen Zweifel darüber, was ich damit ausdrücken wollte.

In der folgenden Woche fuhren wir wieder zu einer Hundeausstellung, aber dieses Mal bekam ich eine Blume und Mami musste sich eine Nummer auf die Jacke kleben. Schließlich wurden wir in den viereckigen (!) Ring gerufen und ein netter Mann prüfte meine Chipnummer unter meiner Schulterhaut, starrte mich an (?), beguckte sich meine Zähne (??), starrte mich wieder an (???), befühlte meine Knochen (!!!) und starrte mich an (????). Dann musste ich, von Mami geführt, einmal an den Seiten des Rings entlangtänzeln. Der nette Mann erzählte meiner Mami, dass sie wohl noch ein bisschen üben müsste, mit mir zu laufen, aber das wollte er mir nicht zur Last legen.

Er gab mir jedenfalls die Note "Vorzüglich", setzte mich auf den ersten Platz bei den Hündinnen und ich erhielt außerdem auch noch eine Anwartschaft für einen Championtitel. Wow (oder auf deutsch: "Wau") ! Da war ich vielleicht geschmeichelt. Beinahe wäre ich rot geworden vor Verlegenheit (Na ja, nicht wirklich - ich wollte doch nicht mit einem Eichhörnchen verwechselt werden!).

Als es um "Best of Breed", die oder den besten der Rasse, ging und ich noch einmal gegen den Sieger bei den Rüden antreten musste, dachte ich erst, dass "Ladies first" gelten würde, aber der nette Mann sagte, "Der Rüde ist der beste". War vielleicht auch gut so, vielleicht wäre ich noch abgehoben vor Stolz.

Mami und Daddy behandeln mich jedenfalls seither mit noch größerem Respekt (glaub ich wenigstens). Abends, als wir wieder zu Hause waren, goss Daddy noch einen Schluck Sekt in meinen Siegerpokal. Opa, sag mal, musste ich wirklich erst einen Pokal gewinnen, damit ich als die Prinzessin behandelt werde, die ich schon immer bin?

Mami meint, ich sei zu wild, um daraus eine Karriere zu machen und sie wollten so wie so nur mal wissen, ob der Richter bestätigen würde, dass ich wirklich so schön bin, wie unsere Freunde immer sagen. Daddy und ich waren auch erleichtert, dass sie uns nun nicht um die halbe Welt jagen wollte, um Punkte für eine Meisterschaft zu sammeln. Außerdem war ich erleichtert, dass der Foltertisch nun nicht ständig aufgestellt bleibt

Mami dachte wenn wir nun schon mal besser laufen lernen sollten, dann sollte es eine nützliche Art von Laufen sein, und - schwupp - gingen wir auch schon zur Hundeschule um noch einmal zu lernen, was man tut und was besser nicht, dieses Mal in Brinkum. Da ich nun diesen Sitz-und-bleib-Kram ohnehin schon kannte, bemühte ich mich, sie nicht zu sehr zu ärgern und - tata! - zur Belohnung wurden wir auch zu einem Intensivkurs im Hundesport "Agility" zugelassen. Mami hat das so gefreut, dass sie sich sofort die sportliche Ausrüstung besorgte: Stollenschuhe, Agilityleine, Lehrbücher ...

Drei Mal pro Woche sprangen wir nun über Hürden, kletterten über Mauern, liefen über hohe Stege, sausten durch dunkle Tunnel und wanden uns um Slalomstangen. Das heißt: ich musste das alles tun, Mami stattdessen lief zum Beispiel mit dem falschen Fuß los, beugte sich zu weit vor oder vergaß mir die richtigen Zeichen zu geben. Bald war es auch schon Zeit für den Abschluss von diesem Crashkurs. Ich entschied mich dafür, die Veranstaltung etwas aufzupeppen indem ich mich vom Laufsteg fallen ließ und mich beim Aufprall aus zwei Metern Höhe elegant mit einem Salto abrollte. Alle hielten den Atem an, aber ich kannte die Regel: sofort wieder rauf auf den Steg. Und das hab ich dann auch gemacht.

Unsere Trainerin Ela hat uns zum Agility Team zugelassen und ihr Mann Horst sagt, dass wir vielleicht in einem Jahr auch mal an einem Turnier teilnehmen können. Mami sagt, wir machen das alles nur zum Spaß, aber, Opa, Du weißt genau so gut wie ich, dass es für sie gut ist. Inzwischen haben wir übrigens auch einen richtigen Parcours gelaufen, aber ich brauchte Mami gar nicht zur Führung: ich kann die Nummerierung nämlich selber lesen (na ja: nicht ganz; ich hatte einfach nur bei meinen Vorläufern aufgepasst).

Inzwischen haben wir zu Hause im Garten auch einen Slalomkurs, vier Hürden, einen Tunnel und einen Hula-Hoop-Reifen zum Durchspringen. Motto: "Von der Schönheitskönigin zur Olympiakandidatin"

Liebe Grüße
Gráinne

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